„Gott bin ich, nicht Mann“, lässt das göttliche Wesen durch den Propheten Hosea (Hos 11,9) verkünden. Gott – nicht Mann: Diese Feststellung bedeutet, dass das „Phänomen“ Gott sich nicht in kleine, engherzige irdische Kategorien fassen lässt. Gott reicht über menschliche Vorstellungen hinaus und übertrifft sie bei Weitem. Besonders deutlich wird dies in der Lebensgeschichte Mariens, die in der katholischen Kirche traditionell mit zahlreichen Festen erinnert und gefeiert wird: Das „Ja“ Mariens zu Gottes Plan, die Mutter des menschwerdenden Gottes zu werden, gilt in der Christentumsgeschichte als DAS vorbildliche Gottvertrauen schlechthin, ihre Seele als sündenlos, ihr Herz als rein. Obwohl es einer Kirche mit einer vergleichsweise regiden Sexualmoral nicht gut anstehen sollte, hat man sich viele Gedanken zur faktischen Jungfräulichkeit der Gottesmutter gemacht: Maria, die Mutter Jesu, des menschgewordenen Gottes, hat, so die katholische Theologie, niemals mit einem Mann geschlafen.
Es erscheint mir fast ungehörig, dass diese Frage – hat sie oder hat sie nicht?!? die theologisch und kirchlich Involvierten immer wieder so sehr bewegt: Angefangen beim Lachen manches Altsprachlers, der betont, dass mit den „Brüdern“ Jesu im neuen Testament mitnichten nur seine Cousins gemeint sein könnten (Mt 12,46), über andere, die das Dogma der Jungfräulichkeit glühend verteidigen würden – ist die Aussage des Dogmas im Kern tatsächlich eine über das Intimleben der Gottesmutter? Wie schlicht, wie anrüchig, wie neugierig und respektlos.
Die Aussage über die Jungfräulichkeit Mariens geht über Fragen irdischer Belange hinaus: „Hat sie…oder hat sie nicht???“ – das ist Dorftratsch hinter vorgehaltenen Händen. Die viel tiefere Aussage reicht weit darüber hinaus: „Gott bin ich – nicht Mann“, spricht das göttliche Wesen. Nimmt man das Dogma der Jungfräulichkeit Mariens faktisch ernst, dann bedeutet es, dass Gott keines männlichen Samens, keines männlichen Handelns, keinerlei männlicher Macht oder Berührung bedarf, um zu den Menschen zu kommen. Er ist jeglicher irdischer Macht – und damit den „Machern“ dieser Welt enthoben. Er vertraut sich einer Frau an, und durch und durch und primär zunächst nur ihr. Durch sie kommt Er zu den Menschen, nicht durch einen Mann. Durch dieses Handeln beweist Gott zum einen eine Erhabenheit über alles Irdische und Menschliche: Gott entscheidet, wann und wie Er zu uns kommt. Wir haben Seinen Weg nicht im Griff, ebensowenig Ihn selbst. Zugleich erweist Er uns eine geradezu fast unvorstellbar große Nähe zu allem Menschlichen: Er kommt uns nah, als Mensch, und das, wie wir alle, durch eine Frau. Er ist uns allen nah, im wahrsten und liebevollsten Ausdruck von Menschlichkeit.
„Gott bin ich, nicht Mann“ – manch einem erscheint diese Selbstaussage durch den männlichen Körper Christi überholt. Männer seien Christus einfach ähnlicher, versuchte mich ein junger Priesteramtskandidat zu überzeugen. Jeder diktatorische Hallodri wäre dieser Maxime nach Christus ähnlicher als die Gottesmutter selbst – oder, etwas anschaulicher ausgedrückt: Stalin wäre Jesus ähnlicher als Mutter Teresa.
Ein solches Denken verkennt, dass Gott dort sichtbar wird, uns nahe ist, wo wir Ihm wie Maria vertrauen, wo wir uns Seinen Plänen öffnen. Wo wir zulassen, dass Er Wohnung nimmt in uns. Unerwartet. Liebevoll. Herausfordernd. All das zugleich, über uns hinausweisend, und doch unnachahmlich nah: Denn Gott ist Er – enthoben unserer Engherzigkeit, unserem Dominanzstreben und unserer egoistischen Arroganz – Gott sei Dank!
Christiane Kuropka