Die Erde ist keine runde Kugel. Betrachtet man ihr Schwerefeld, so zeigt sich, dass die Anziehungskraft des Planeten nicht überall gleich ist: Die Meere bilden Täler und Berge, so dass selbst die Satelliten, die um die Erde kreisen, keinen harmonische Runde ziehen. An den Polen ist sie abgeflacht, am Äquator hingegen gewölbter. Die Erde ist nicht rund – sie ist vielmehr eine „Kartoffel“, so das GeoForschungsZentrum in Potsdam.
Der Globus, der zu Hause auf dem Schreibtisch steht, negiert diese differierenden Eigenarten: Er zeigt sich perfekt – rund, glatt, symmetrisch, eine perfekte Reduktion der Realität.
Unsere Vorstellung von den Dingen ist nicht nur hier das angepasste, schmeichelnde Model dessen, was Leben und Welt tatsächlich ausmachen: Die Romanze im Fernsehen ist perfekt, das Model unter dem MakeUp nicht wiederzuerkennen, der Held im Film widersteht allen physikalischen Gesetzen – und selbst für die männliche Brust gibt es heutzutage die perfekte Norm.
Betrachten wir die Schöpfung, ungeschminkt und mit den Gesetzen, die ihr innewohnen, so zeigt sich, dass ihr scheinbarer Mangel an Perfektion systeminhärent und notwendig ist. Eine Erde ohne Berge und Täler würde nie all die Pflanzen, Tiere und Lebensräume hervorbringen, die auf ihr existieren, und die unser Leben beeindruckend bereichern: Spinnenfäden bringen heute Nutzen in der Heilung von Nervenschäden, manche Schlangengifte werden in der Pharmakologie angewandt, vielfältige Pflanzen von ganz verschiedenen Orten nähren und heilen Tiere und Menschen.
Es zeigt sich: Leben gibt es selten als völlig geraden Weg und – diese Behauptung möchte ich wagen – niemals leidfrei. Es ist ein Auf- und Ab, es sind unrunde Kreise, es sind Kartoffelwege, und im Nachhinein meinen wir, wir hätten es besser wissen können. Nein, das hätten wir nicht, denn dem Leben ist das Kartoffelsein inhärent. Es ist systemisch notwendig, Umwege und Schwierigkeiten zu erleben, denn wir wissen erst nach der negativen Erfahrung, was wir angeblich längst besser hätten wissen können. Aus allem, was uns quält, an Umwegen, an Unrundem, an Bergen und Tälern gilt es, Neues zu weben: Spinnenfäden, an denen Nerven entlangwachsen können!
Christiane Kuropka