„Wer mir folgen will, der verleugne sich selbst, nehme täglich sein Kreuz auf sich und folge mir nach,“  wird Jesus im Evangelium zitiert. Heute blicken wir auf das Kreuz und sehen Jesus dort, angeschlagen mit Händen und Füßen, sterbend.  

Was bedeutet also der Satz „Nimm Dein Kreuz auf Dich“? Wir können uns kaum jeden Tag hinrichten lassen und sterben, denn das wäre kein Leben und die Umsetzung der Aufgabe „Folge mir nach“  so ausgeschlossen. Was also ist gemeint? 

Das Kreuz, das Jesus auf seinem Weg nach Golgatha trägt, war von seiner Seite keine durch und durch freie Entscheidung. Zwar ist er nach dem letzten Abendmahl nicht geflohen, hat sich freiwillig dem Geschehen gestellt – doch auf der anderen Seite hat er die Hinrichtung nicht selbst angestrebt, nicht darum geworben – und auch die Art und Weise, die grausame Art zu sterben, lag nicht in seiner Hand. 

Das Kreuz, es ist vielmehr eine Zumutung durch andere. Der Spott, der Hohn, die Schläge, die Masse, die gegen ihn tobt, der Mensch, der ihn verraten hat, das Gericht, das ihn unschuldig verurteilt, es sind Umstände, die Jesus erträgt, die er auf sich nimmt. Es ist ein Leidensweg, in dem man ihm ungerechte Zuschreibungen anhängt, seine Person brechen und ihn, den Gottessohn, in die Ohnmacht zwingen will. 

Machtausübung, die das Ziel hat, Menschen zu brechen – nicht erst durch eine tatsächliche Hinrichtung, sondern schon durch Zuschreibungen, durch Mobbing, durch eine Dominanz, die sich über die Würde des Einzelnen erstreckt  – sie kann, im übertragenen Sinne, „tödlich“ sein. Das Leiden, das sie verursacht, ist viel weniger offensichtlich als es uns das Kreuz auf Golgotha heute vor Augen führt. Es kann subtil sein, chronisch, und selbst, wenn es lange zurückliegt, dennoch in gefühlt unendlicher Weise seine Kreise durch unsere Leben ziehen.  

Der Satz „Nimm Dein Kreuz auf Dich und folge mir nach“ bleibt nicht in diesem Leiden stehen. Wer sein Kreuz nimmt, ist nicht länger machtlos. Wer losgeht und sein Leiden trägt, mit sich führt, aber dennoch geht, ist in Bewegung und wieder auf dem Weg. Wer das tut, kann ein Gespür für sich selbst, für das eigene Person-Sein, für die eigene Würde und die eigene Selbstwirksamkeit zurückgewinnen, gegen alle erfahrene Antastung und subtile wie offene Gewalterfahrung. Das Leiden, es mag so nicht einfach verschwinden, noch wird es relativiert: Das Kreuz, es ist da, es wird getragen. Wichtig jedoch ist: Es steht nicht länger im Zentrum des Lebens.  

Im Zentrum steht vielmehr das Leben selbst, in das Gott uns gerufen hat und uns täglich beruft: Als die Personen, die er selbst geschaffen hat und mit der Würde, die er uns zuspricht und die entgegen aller Gewalterfahrungen immer und unanfechtbar bestehen bleibt. 

Christiane Kuropka

X