Dieser Moment, wenn ein Glas herunterfällt: Eben war es noch ganz – nun liegt es in 1000 Stücken. Kleinste Scherben verletzen den, der achtlos darüber geht, das Zerbrochene, es verletzt weiter, der Bruch im Glas setzt sich fort über die Haut.  

Es ist ein Bild, das übertragen werden kann: Der, in dem etwas gebrochen ist, kann seinen Bruch weitergeben, ohne jede böse Absicht: Eltern, die ihren Kindern den Schaden zufügen, den ihnen ihre Eltern selbst in die Wiege gelegt haben. Beziehungsmuster, die sich wiederholen, wie in einer unendlichen Bahn, in der ein Stein den nächsten anstößt, eine ganze Lawine. Wer kann sie aufhalten?

Im Leben ist das gar nicht so einfach. Wenn etwas zerbricht, wer wird es wieder zusammenfügen? Dieses Wort kann kein Allgemeinrezept geben – es wäre Hohn für viele, würde man übersehen, dass es Brüche gibt, die bleiben, und Gebrochenes, das keinen Frieden findet. Dennoch möchte ich heute von jemandem erzählen, der einen Weg gefunden hat und mir erlaubte, seine Geschichte weiterzugeben:

Schwer misshandelt in der Kindheit, von Pflegefamilie zu Pflegefamilie gereicht, kam dieser Mensch an seinen endgültigen Tiefpunkt: „Lebe ich weiter oder setze ich all dem ein Ende?“, fragte er sich. Er schaffte es, sich für das Leben zu entscheiden, Schritt für Schritt. Er machte eine Therapie, arbeitete sich mit aller Kraft durch eine Ausbildung, zwang sich, jeden Tag neu zu beginnen, stellte sich selbst Aufgaben, um all das, was tief in ihn eingegraben worden war, zu überwinden – und überwand, nicht heute, nicht morgen, nicht sofort: Sondern schleichend, Schritt für Schritt. Er zahlte die Schulden ab, die sich angesammelt hatten. Er bewarb sich, bekam die Stelle. „Wenn ich jetzt noch die Richtige finde und eine Familie gründen kann, dann habe ich alles erreicht, was ich in meinem Leben erreichen will“, sagte er zu mir, und: „Eines habe ich mir vorgenommen: Dass ich niemals gewalttätig werde.“ Er konnte lachen, obwohl das, was er mir erzählte, schwer war. Trotz allem, was er noch an Anspannung an sich wahrnahm, öffnete er sich, denn: Was ihn gebrochen hatte, sagte er: „Es ist vorbei.“ Er erlaubte mir, seine Geschichte weiterzuerzählen, damit sie anderen Hoffnung machen kann.  

Zurück zum zerbrochenen Glas: In Japan gibt es die Methode des Kintsugi. Es werden zerbrochene Gefäße mit einem Kitt zusammengefügt, der Gold, Silber und andere pulverisierte Metalle enthalten kann. Der Makel wird hier zur Kunst: Der Bruch erhält Sinn.  

Scherben wieder zusammenzufügen – das ist ein Prozess. Das geht nicht von heute auf morgen. Die Scherben wollen sortiert, der Kitt, er muss gemischt werden. Manchmal braucht es einen guten Handwerker, der das Gebrochene wieder sinnvoll zusammensetzen kann – und der Bruch selbst, vielleicht verschwindet er nie ganz. Aber den Bruch in sich anzunehmen, heilen zu lassen, bedeutet, neue Anstöße geben zu können: Nicht länger als eine Scherbe, die sich und andere verletzt, sondern als ein ganzes Gefäß, das Fülle schenken kann: Hoffnung und Glück, das glänzt und andere heil werden lässt, wie eine neue Bewegung in eine ganz andere Richtung: Eine, die aufbaut und nicht niederreißt, die stark macht und stark werden lässt, die in sich heil ist und Heil schenken kann.

Christiane Kuropka

X