Nichts und niemand kommt ohne eine Herkunft aus: Leben ist nur darauf zurückzuführen, dass ihm Lebendiges vorausgegangen ist. Beim Menschen sind es die Eltern, die dem Leben ihrer Kinder voran gehen: Neun Monate lang wird ein Kind im Bauch seiner Mutter getragen, versorgt durch die Nabelschnur. Doch dabei bleibt es nicht stehen: Nur durch die Liebe, den Schutz und die Pflege eines Menschen kann ein Baby überleben, und auch hier sind es zumeist die Mütter, die ihren Kindern Milch geben, sie in den Schlaf wiegen und ihr Leben opfern, damit dieses kleine, hilflose Wesen, das ihnen anvertraut ist, überleben und wachsen kann.
Eine Mutter: Sie ist unersetzlich. Fehlt sie oder wird durch einen anderen Menschen ersetzt, bleiben oft lebenslang schmerzhafte Fragen zurück, die auch im Alter nicht zur Ruhe kommen. Ein gutes, einvernehmliches oder versöhntes Verhältnis zur eigenen Mutter zu haben, ist hingegen grundlegend und heilsam für die menschliche Psyche, schmerzhaft dagegen bleiben fehlende Aussprache und ungelöste Konflikte zwischen Eltern und Kindern.
Maria ist die Mutter Jesu, und damit auch „Mutter der Kirche“: Dieses Fest hat Papst Franziskus seit 2018 für den Pfingstmontag bestimmt. Nicht nur waren Maria und weitere Frauen beim Pfingstereignis anwesend, Marias Mutterschaft ist ganz grundsätzlich entscheidend für die irdische Menschwerdung ihres Sohnes: Nur durch das Spenden ihres Lebens, nur durch ihre Sorge, Fürsorge und Erziehung wurde Jesus zu dem Mann, der er ist. Durch sie lernte er das Sprechen, die Wahrnehmung seiner Umwelt, das Beten. Sie war es, die ihn zurechtwies, wenn er sich nicht so verhielt, wie er es sollte – sie erzog ihn, wie alle Kinder erzogen werden müssen, schließlich gilt: Ganz Gott ist Christus, aber eben auch – ganz und gar Mensch, und so nicht ausgenommen von der natürlichen Entwicklung eines Menschen!
Erstaunlicherweise ist in der Kirche dennoch ein paradoxes Verhältnis zur Mutterschaft Tradition geblieben: Während nur Männer Priester werden können, mit dem Argument unter anderem einer größeren Ähnlichkeit mit Jesus selbst – da eben ein Mann – bleibt der Part der mütterlichen Sorge, aber auch der mütterlichen Zurechtweisung in der kirchlichen Hierarchie unbesetzt. So wird eine Wurzel des Lebens beschnitten: Die Repräsentanz der mütterlichen Sorge und Zurechtweisung, aber auch des mütterlichen Schmerzes und der weiblichen Klage wird nicht repräsentiert und damit eine wichtige „Nabelschnur“ lebendiger Gemeinschaft unterdrückt und betäubt. Erheben Frauen dennoch ihre Stimme, so gilt es vielfach als unbequem und wenig erwünscht.
Wer sich jedoch von der eigenen Lebenswurzel abschneidet, kann nicht die volle Entfaltung seines Lebens finden: Wer die kirchliche Gemeinschaft um ihre weibliche Seite, um die Menschen bringt, die Maria in so vielem ähnlich sind, einfach, weil sie Frauen sind, büßt Anteile seiner Christusähnlichkeit ein, denn: Christus gibt es nicht ohne Maria!
Gemeinschaft lebt nicht allein von den scheinbar großen Entscheidungen Einflussreicher, sondern von den unscheinbaren Taten aller einzelnen Glieder: Fragen wir uns deshalb in diesen Pfingsttagen selbst, wo wir Wurzeln unserer Lebendigkeit beschnitten haben und uns dem Leben verweigern. Fragen wir uns, wo uns Leben beschnitten oder behindert worden ist. Fragen wir uns aber auch, wo wir selbst dem Leben im Weg stehen und andere daran hindern, sich zu entfalten, und vor allem: Lassen wir an all diesen Stellen das Leben (wieder) zu und entfalten es neu!
Vor Gott sind wir alle zu einem erfüllten Leben bestimmt: Durch den Heiligen Geist, der Maria berief, lebendig zu sein, ihr Leben zu schenken und fruchtbar zu sein für die ganze Menschheit. Nicht in einem einmaligen Akt der Mutterschaft, sondern in einem gnadenvollen Geschehen, das bis heute fortdauert! Ihr Auftrag kann ein befreiendes Vorbild sein: Ein Vorbild für alle Menschen, egal welchen Geschlechts, welchen Alters oder welcher Herkunft, im Hier und Heute für eine Zukunft gelingenden Lebens.
Christiane Kuropka